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PolitikGlobal

Weltweit immer weniger Demokratien

18. März 2024

Unter Entwicklungs-und Schwellenländern sind laut Bertelsmann-Stiftung autoritäre Regierungen in der Mehrheit. Die Demokratie gerät weltweit zunehmend unter Druck - und erreicht anteilig ihren Tiefstwert seit 2006.

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Russland Roter Platz Rede Wladimir Putin
Kreml-Chef Putin überlebensgroß: Am Wochenende ließ sich Putin für seine fünfte Amtszeit bestimmen Bild: Maxim Shemetov/REUTERS

Die nackten Zahlen sind ernüchternd: In 137 Staaten, die man als Entwicklungs - oder Schwellenländer bezeichnen kann, hat sich nach einer neuen Studie die Qualität der Demokratie in den vergangenen 20 Jahren verschlechtert. Nach dem "Transformationsindex" der Bertelsmann-Stiftung stehen heute 63 Demokratien 74 Autokratien gegenüber. Staaten also, in denen es eher keine freien Wahlen oder keinen funktionierenden Rechtsstaat gibt.

Zur Präsentation der Studie hatte die Stiftung am Montag auch Bundeskanzler Olaf Scholz(SPD) eingeladen. Scholz sagte mit Blick auf den auch in Deutschland zunehmenden Rechtspopulismus, er freue sich, dass dagegen zuletzt hunderttausende von Menschen auf die Straße gegangen seien: "Das ist ja nicht von oben oder von den Parteien gekommen. Es ist richtig, dass wir uns über eine Wehrhaftigkeit der Demokratie Gedanken machen. Aber am Ende ist das kein Theaterstück, das findet nicht im Internet statt, sondern das sind wir: Die Demokratie müssen wir selbst beschützen."

Bundeskanzler Scholz hält bei der Bertelsmann Stiftung am 18. März in Berlin ein Mikrofon in der Hand
"Die Demokratie kann nicht von oben verteidigt werden", findet Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Was in Deutschland noch gelingt, wird in vielen Ländern der Welt zunehmend schwieriger. Laut der Bertelsmann-Studie waren allein in den letzten zwei Jahren in 25 Ländern Wahlen weniger frei und fair als vorher. Zwei Jahre, die geprägt waren von einer neuen geopolitischen Lage, dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und der Corona-Pandemie. Und in 39 Ländern wurde die Meinungs- und Pressefreiheit immer mehr eingeschränkt.

"Die Pandemie hat die Effekte noch verschärft!"

Sabine Donner ist eine der Autorinnen der Studie. Sie sagt der DW über den Effekt, den die Corona- Pandemie mit ihren Ausgangssperren und zeitweisen Eingriffen in die Freiheitsrechte auf demokratische Entwicklungen hatte: "Die Pandemie war die Gelegenheit, Rechte noch einmal stärker einzuschränken und die Macht noch stärker auf Regierungen zu konzentrieren. Aber grundsätzlich hat die Pandemie keine Probleme geschaffen, die nicht vorher schon existiert hätten."

Nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung ist die Studie die größte und umfangreichste ihrer Art. Grundlage sind 5000 Seiten an Länderberichten, die die Stiftung mit Hilfe von 300 Expertinnen und Experten, Universitäten und Think Tanks in rund 120 Ländern zusammengetragen hat. Untersucht werden der Zustand der Demokratie, die wirtschaftliche Entwicklung und das Regierungshandeln. Alle drei Kategorien befinden sich zurzeit auf einem historischen Tiefstand.

Positiv: Die Demokratien wachen langsam auf

Den Kopf in den Sand stecken will Sabine Donner aber nicht, trotz aller negativen Meldungen. Sie beobachtet, dass in den gefestigten Demokratien die Aufmerksamkeit dafür wächst, wie die Welt zunehmend weniger frei wird: "In den letzten zwei bis vier Jahren sind Menschen und Regierungen, demokratische Staaten, auch wir hier in Deutschland, wachsamer dafür geworden, dass es autoritäre Herausforderungen gibt. Die deutlich selbstbewusster sind, als sie es noch vor zehn Jahren waren. Aber das haben wir auch zugelassen, glaube ich."

Sind Demokratien zu langsam und unflexibel?

Autoritäre Herrscher begründen ihr Handeln gerne mit der Behauptung, Demokratien seien zu schwerfällig, zu wenig flexibel und könnten im globalen Wettbewerb nicht mehr mithalten. Die Studie hält dagegen: Bewertet man effizientes Regierungshandeln, etwa während der Pandemie, dann haben undemokratisch organsierte und korrupte Regime wie Kambodscha, Venezuela oder Simbabwe am schlechtesten abgeschnitten. Die 45 Ländern mit der geringsten Effektivität sind allesamt keine Demokratien.

Eine Frau in Peking trägt während der Corona-Pandemie Ende 2022 eine Maske und einen Gesichtsschutz.
China hat nach Ansicht der Bertelsmann-Stiftung während der Corona-Krise viel falsch gemacht und wenig aus Fehlern gelerntBild: Andy Wong/AP/picture alliance

Dass Autokratien in Krisenzeiten eben nicht besonnener handeln als Demokratien, zeigt sich nach Ansicht von Sabine Donner auch im Verhalten Chinas während der Pandemie: "Das hat man in der Corona-Pandemie gesehen, als deutlich wurde, dass die strikten Lockdowns nicht funktionieren, dass es große Proteste gab, trotz aller Repressionen. Nicht nur die Einsicht in falsches Handeln, auch die Korrektur ist einfach schwerer. Auch Autokratien können unter Druck geraten, weil die Bevölkerung mit den Ergebnissen nicht zufrieden ist."

Ziviles Engagement ist der Schlüssel

Entscheidend für eine weniger autokratische Entwicklung bleibt das zivile Engagement der Menschen, die sich für freie Wahlen, Pressefreiheit und Gewaltenteilung einsetzen. Gibt es hier kontinuierlichen Druck, kann die Abwehr von autokratischen Tendenzen gelingen. Die Studie listet als Beispiele die jüngsten Wahlen in Kenia und Sambia auf. Aber auch positive Tendenzen in Europa. Zum Beispiel in Polen oder der Republik Moldau.

Eine geringere Rolle spielen kulturelle oder religiöse Einflüsse. Können etwa muslimische Länder wie die der Golf-Region aus sich selbst heraus autokratische Tendenzen zurückdrängen? Sabine Donner: "Ich wüsste nicht, warum das nicht funktionieren sollte. Nehmen Sie Taiwan oder Südkorea, die lange autokratisch regiert und zunächst wirtschaftlich modernisiert wurden. Und jetzt sehr stabile und erfolgreiche Demokratien sind. Es gibt keinen Automatismus, der das verhindert."

Eine Frau gibt bei den Parlamentswahlen in Kenia im August 2022 ihre Stimme in einem Klassenraum ab
Trotz Unregelmäßigkeiten und Pannen glückte alles in allem die Parlamentswahl in Kenia im August 2022Bild: IMAGO/ZUMA Wire

Gute Beispiele: Südkorea, Costa Rica, Chile, Uruguay

Und so ist das Fazit der Studie: Mit Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fahren eigentlich alle Länder immer noch am besten. In der Pressemittelung zur Veröffentlichung des "Transformationsindex 2024" heißt es etwa über Staaten wie Südkorea, Costa Rica, Chile, Uruguay und Taiwan: "Rechtsstaatlich verankert, strategisch ausgerichtet, sorgt deren Regierungsführung nicht nur für gute Ergebnisse im Bildungs- und Gesundheitswesen und bei der Verbesserung des Lebensstandards, sondern auch für die Stärkung der Demokratie."

Und da, wo Demokratie schon funktioniert, müssen Regierungen, so die Studie, mehr als in den vergangenen Jahren den Konsens möglichst breiter Bevölkerungsgruppen suchen. Auch wenn das in einem sich immer mehr polarisierendem Klima immer schwerer fällt.