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KonflikteUkraine

Aktuell: Türkei unterstützt NATO-Beitritt der Nordländer

28. Juni 2022

Ankara gibt seinen Widerstand gegen eine Mitgliedschaft Schwedens und Finnlands in der NATO auf. Russland kündigt Konsequenzen an. Ein bekannter Moskauer Oppositionspolitiker muss hinter Gitter. Ein Überblick.

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Vor Nato Gipfel | Treffen der Spitzen Schwedens und Finnlands mit Erdogan
Die Spitzen Finnlands und Schwedens mit dem türkischen Präsidenten Erdogan (2. v. l. am Tisch)Bild: DHA

Das Wichtigste in Kürze:

  • Türkei unterstützt NATO-Beitritt der Nordländer
  • Russland droht Finnland und Schweden
  • Moskauer Abgeordneter nach Kriegs-Kritik in Haft
  • Bulgarien weist 70 russische Diplomaten aus
  • G7 verurteilen Angriff auf Einkaufszentrum als "Kriegsverbrechen"

Die Türkei hat ihren Widerstand gegen die Aufnahme von Schweden und Finnland in die NATO aufgegeben. Ankara werde während des NATO-Gipfels in Madrid die Einladung an Finnland und Schweden unterstützen, Bündnismitglied zu werden, teilte der finnische Präsident Sauli Niinistö mit. Ein entsprechendes Memorandum sei nach einem Treffen mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unterzeichnet worden. Das Präsidialamt in Ankara erklärte in einer ersten Stellungnahme, die Türkei habe in Gesprächen mit den beiden nordischen Ländern "bekommen, was sie wollte". Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt.

Finnland - das eine rund 1300 Kilometer lange Grenze zu Russland hat - und Schweden sind traditionell militärisch bündnisfrei, aber enge Partner der NATO. Vor dem Hintergrund des russischen Einmarschs in die Ukraine hatten beide Staaten im Mai die Aufnahme in den Nordatlantikpakt beantragt. Die Türkei blockierte den Prozess bislang und begründete dies mit angeblicher schwedischer und finnischer Unterstützung von "Terrororganisationen" wie der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der syrischen Kurdenmiliz YPG und der Gülen-Bewegung. Stockholm und Helsinki wiesen die Vorwürfe zurück.

Moskau droht Finnland und Schweden

Russlands früherer Präsident Dmitri Medwedew hatte schon vor der Einigung Finnland und Schweden mit Aufrüstung in ihrer Nachbarschaft gedroht, sollten diese der NATO beitreten. Russland sei "zu Vergeltungsschritten bereit", inklusive "der Aussicht, Iskander-Raketen, Hyperschallraketen und Kriegsschiffe mit Atomwaffen vor deren Haustür zu stationieren", zitierte die russische Wochenzeitung "Argumenty i Fakty" Medwedew, der heute Vize-Vorsitzende des nationalen Sicherheitsrates ist.

Dmitri Medwedew sitzt hinter Mikrofonen vor einer russischen Flagge
Dmitri Medwedew war zwischen 2008 und 2012 Präsident Russlands (Archivbild)Bild: Ekaterina Shtukina/SNA/IMAGO

Zugleich warnte er die NATO, jede Art von Zwischenfall auf der Halbinsel Krim könne eine Kriegserklärung durch Russland nach sich ziehen, die wiederum zu einem "Dritten Weltkrieg" führen könne. "Für uns ist die Krim ein Teil Russlands. Und das gilt für immer", sagte Medwedew demnach. "Jedweder Versuch, auf der Krim einzugreifen ist eine Kriegserklärung gegen unser Land." Würde dieser durch die NATO unternommen werden, bedeute das einen Konflikt mit dem gesamten nordatlantischen Bündnis.

Völkerrechtlich gehört die Krim nach wie vor zur Ukraine; eine Intervention auf der 2014 von Russland annektierten Halbinsel durch NATO-Truppen steht nicht zur Debatte.

Moskauer Abgeordneter nach Kriegs-Kritik in Haft

In der russischen Hauptstadt Moskau ist der prominente liberale Politiker Ilja Jaschin festgenommen worden. Wegen Ungehorsams gegen Polizeibeamte müsse er für 15 Tage in Haft, meldet die Nachrichtenagentur Interfax unter Berufung auf ein Moskauer Gericht. Jaschin selbst kritisierte das Vorgehen der russischen Justiz als politisch motiviert. "Ich bin ein Oppositionspolitiker, ein unabhängiger Abgeordneter, ein Kritiker von Präsident (Wladimir) Putin und ein Gegner des Kriegs gegen die Ukraine", schrieb der 38-Jährige im Nachrichtendienst Telegram. "Diese Festnahme ist ein Mittel, um Druck auf mich auszuüben."

Russland Oppositionsaktivist Ilya Yashin
Ilja Jaschin, Abgeordneter im Moskauer Bezirksparlament (Archivbild)Bild: Mikhail Tereshchenko/TASS/dpa/picture alliance

In der Nacht zum Dienstag hatte zuerst das Bürgerrechtsportal Owd-Info mitgeteilt, dass Jaschin auf eine Polizeistation gebracht worden sei. Demnach bekam sein Anwalt zunächst keinen Zugang zu dem Abgeordneten eines Moskauer Bezirksparlaments. Bereits im Frühjahr wurde Medienberichten zufolge gegen Jaschin wegen angeblicher Verunglimpfung der russischen Armee ermittelt. Im Zuge von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine ist vor einigen Monaten ein heftig kritisiertes Gesetz in Kraft getreten, das hohe Strafen für vermeintliche Falschnachrichten über Russlands Streitkräfte vorsieht.

Weitere Festnahme in Cherson

Pro-russische Streitkräfte haben laut Medienberichten den gewählten Ex-Bürgermeister der südukrainischen Stadt Cherson, Igor Kolychajew, in Gewahrsam genommen. Der stellvertretende Leiter der Besatzungsverwaltung der Region Cherson, Kirill Stremoussow, behauptete, Kolychajew habe "im Nazi-Milieu" einen Heldenstatus innegehabt. Cherson war nur knapp eine Woche nach Beginn des russischen Militäreinsatzes in der Ukraine von Moskau erobert worden und ist seitdem von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten.

Bulgarien weist russische Vertreter aus

Bulgarien hat 70 russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt. Die Gesandten hätten bis zum 3. Juli Zeit, das Land zu verlassen, teilte das Außenministerium in Sofia mit. Mit der Maßnahme solle ein Gleichstand mit der Zahl der bulgarischen Diplomaten in Moskau erreicht werden. Außerdem gingen russische Diplomaten Tätigkeiten nach, die mit der Wiener Übereinkunft über diplomatische Beziehungen unvereinbar seien. Der kommissarische Regierungschef Kiril Petkow sagte, wenn ausländische Regierungen versuchten, sich in die inneren Angelegenheiten Bulgariens einzumischen, habe man Institutionen, die sich widersetzten.

Petkows prowestliche Koalitionsregierung war nach nur einem halben Jahr im Amt am vergangenen Mittwoch durch ein Misstrauensvotum im Parlament gestürzt worden. Petkow führt nun die Regierungsgeschäfte kommissarisch weiter. Er machte unter anderem Russlands Botschafterin in Sofia, Eleonora Mitrofanowa, für seinen Sturz verantwortlich.

Entsetzen nach Angriff auf Einkaufszentrum in Krementschuk

Beim G7-Gipfel in Elmau wurde der Raketenangriff auf das Einkaufszentrum in Krementschuk als "Kriegsverbrechen" verurteilt. "Russlands Präsident Putin und die Verantwortlichen werden zur Rechenschaft gezogen werden", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Gipfelteilnehmer. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sprach in einem auf Russisch verfassten Tweet von "absolutem Horror".

Unterdessen beantragte Kiew eine Sitzung des UN-Sicherheitsrates. Nach Angaben diplomatischer Vertreter wird sich das Gremium am Dienstagabend mit dem Thema beschäftigen. Zuvor hatte ein Sprecher der Vereinten Nationen daran erinnert, dass die Kriegsparteien laut internationalem Recht zum Schutz von Zivilisten und ziviler Infrastruktur verpflichtet seien.

Bei dem Raketenangriff auf das Einkaufszentrum in der zentralukrainischen Stadt Krementschuk waren am Montag nach jüngsten ukrainischen Angaben mindestens 18 Menschen getötet und etwa 60 weitere verletzt worden. Mehr als 40 Menschen werden noch vermisst. Nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj hielten sich zum Zeitpunkt des Angriffs "mehr als 1000 Menschen" in dem Gebäudekomplex auf. Er sprach von einer "dreisten terroristischen Handlung". Die ukrainische Luftwaffe gab an, das Zentrum sei von Anti-Schiffs-Raketen des Typs X-22 getroffen worden, die von Tu-22-Langstreckenbombern aus der russischen Region Kursk aus abgefeuert worden waren.

Das russische Verteidigungsministerium sprach dagegen an diesem Dienstag von einer Kettenreaktion. Man habe Raketen auf ein Depot mit aus dem Westen stammenden Waffen in der Stadt abgefeuert. Dadurch sei Munition explodiert. Das habe ein Feuer in dem Einkaufszentrum ausgelöst.

Moldaus Präsidentin Sandu in Kiew

Die Präsidentin der benachbarten Republik Moldau, Maia Sandu, hat sich bei einem Besuch in der Ukraine erschüttert über die Folgen des russischen Angriffskriegs gezeigt. Sandu schrieb auf Twitter, sie habe die zerstörten Kiewer Vororte Butscha, Borodjanka und Irpin besucht. "Ich war sprachlos von dem Ausmaß an Gewalt und Zerstörung, das wir gesehen haben", erklärte sie.

Nach einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erklärte dieser, beide Länder hätten nicht nur eine gemeinsame Grenze, sondern auch Werte und Ziele. Seit vergangenem Donnerstag sind beide Länder offiziell EU-Beitrittskandidaten. Moldau mit seiner abtrünnigen, pro-russisch kontrollierten Region Transnistrien befürchtet seit Kriegsbeginn weitere Destabilisierung durch Russland.

Wolodymyr Selenskyj und Maia Sandu stehen an Rednerpulten vor den Landesfahnen Moldaus und der Ukraine
Moldaus Präsidentin Maia Sandu zu Gast bei Wolodymyr Selenskyj in KiewBild: Ukrainian Presidential Press Service/Handout/REUTERS

Ukraine: Zivilisten beim Wasserholen getötet

In der ostukrainischen Stadt Lyssytschansk sind bei einem russischen Raketenangriff nach Behördenangaben acht Menschen getötet worden, die gerade für Trinkwasser anstanden. Weitere 21 wurden verletzt, wie der Gouverneur des Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, beim Nachrichtendienst Telegram schrieb. "Die Russen haben mit Mehrfachraketenwerfern vom Typ Uragan auf eine Menschenmenge geschossen, als die Zivilisten gerade Wasser aus einer Zisterne holten", schrieb Hajdaj.

Lyssytschansk ist die letzte große Stadt in der Region Luhansk, die noch unter ukrainischer Kontrolle ist, nachdem das russische Militär das benachbarte Sjewjerodonezk eroberte.

Deutsche Marine traut sich Führungsrolle in der Ostsee zu

Die Deutsche Marine ist in der Ostsee bereit für zusätzliche Aufgaben in der gemeinsamen Verteidigung des NATO-Gebietes. "Die Deutsche Marine ist in dieser Region keine kleine Marine. Die Verantwortung, die daraus erwächst, nehmen wir gern an", sagte der Inspekteur der Marine, Vizeadmiral Jan Christian Kaack. Er äußerte sich in einer Grundsatzrede zu 100 Tagen in dem Amt, die er an Bord des Tenders "Rhein" vor der Insel Rügen hielt. Das Manuskript der Rede liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.

Die Bundesmarine habe deswegen angeboten, in Rostock ein regionales Marine-Hauptquartier für die Ostsee einzurichten, so Kaack. Er habe Zeit und Ort bewusst ausgewählt, sagte der Marine-Chef. "Denn mit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird uns allen doch deutlich, dass ein Leben in Frieden und Freiheit eben nicht selbstverständlich ist und Recht, Demokratie und Menschenwürde unseres Schutzes bedürfen. Überall. Auch und gerade in der Ostsee, in der sich Freunde und Verbündete wieder bedroht fühlen."

Fregatte "Bayern"
Die Fregatte "Bayern" auf dem Weg zu ihrem Heimathafen in Wilhelmshaven (Archivbild)Bild: Mohssen Assanimoghaddam/dpa/picture alliance

Zugleich warnte Kaack davor, die militärischen Fähigkeiten Russlands zu unterschätzen. Der russische Kreuzer "Moskwa" und andere russische Marine-Einheiten seien zwar durch ukrainische Flugkörper versenkt worden. Davon dürfe man sich aber nicht täuschen lassen. "Die russische Marine wird aus diesem Krieg im Wesentlichen unbeschadet hervorgehen. Darauf müssen wir - gemeinsam mit unseren Verbündeten - vorbereitet sein."

Verzögerung bei deutschen LNG-Terminals befürchtet

Die deutsche Gaswirtschaft ist skeptisch, dass noch bis Jahresende die beiden geplanten Flüssiggas-Terminals an der deutschen Küste in Betrieb gehen können. "Bislang kennen wir nur von einem dieser schwimmenden LNG-Terminals mit Wilhelmshaven eine klare Umsetzungsperspektive", sagte der Vorstand des Branchenverbands Zukunft Gas, Timm Kehler, der "Bild"-Zeitung. "Die geplanten stationären Terminals haben weiterhin keine abschließenden Investitionsentscheidungen." Um im kommenden Jahr eine Importmenge von 13 Milliarden Kubikmetern Erdgas über die Flüssiggas-Terminals zu ermöglichen, müsse beim Auf- und Ausbau der Kapazitäten weiter Tempo gemacht werden.

Moody's stellt Zahlungsausfall Russlands fest

Die Ratingagentur Moody's hat wegen nicht fristgemäß beglichener Schulden bei internationalen Investoren Russland einen Zahlungsausfall attestiert. Konkret gehe es um Zinszahlungen zweier Staatsanleihen, die auch nach Ablauf einer Verzugsfrist von 30 Tagen nicht bei Gläubigern angekommen seien, teilte das Unternehmen in New York mit. Russlands letzter Zahlungsausfall bei Auslandsschulden liegt über hundert Jahre zurück. Das letzte Mal, dass das Land seine Rechnungen bei internationalen Gläubigern nicht beglich, war 1918 nach der bolschewistischen Revolution. Die letzte Staatsinsolvenz Russlands erfolgte 1998 durch Geldnöte im Zuge fallender Ölpreise und der Asienkrise, sie betraf damals aber nur die Binnenschulden in Rubel.

Um eine Pleite im eigentlichen Sinne handelt es sich dieses Mal nicht. Russlands Staatskassen sind gut gefüllt, doch wegen der westlichen Sanktionen aufgrund des Kriegs gegen die Ukraine hat der Kreml Probleme, Schulden im Ausland zu begleichen. Dass die Zahlungen Moskaus wegen Sanktionen blockiert würden, sei "nicht unser Problem", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Angesichts der bekannten Probleme aufgrund der Sanktionen kommt der Zahlungsausfall wenig überraschend. An den Finanzmärkten galt das Risiko schon seit Monaten als fest einkalkuliert und überschaubar.

ehl/wa/kle/se/jj/uh (dpa, afp, rtr, ap, epd, kna, interfax)

Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.