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Tenjen Sherpa und Harila: Alle Achttausender in 92 Tagen

27. Juli 2023

In nur drei Monaten komplettieren der nepalesische Bergführer Tenjen Sherpa und die Norwegerin Kristin Harila die Sammlung der 14 höchsten Berge der Welt. In der Bergsteiger-Szene wird die Zeitenjagd kritisch gesehen.

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Die norwegische Bergsteigerin Kristin Harila umarmt Sherpa Tenjen am Flughafen von Kathmandu.
Erfolgreiches Team: Kristin Harila (l.) und Tenjen SherpaBild: Niranjan Shrestha/AP/picture alliance

Wieder waren sie ganz vorne mit dabei. Gemeinsam mit dem Team, dass die Route bis zum höchsten Punkt mit Seilen sicherte, erreichten der nepalesische Bergführer Tenjen Sherpa und die Norwegerin Kristin Harila am Donnerstag im Karakorum in Pakistan den Gipfel des K2. Mit einer Höhe von 8611 Metern ist er der zweithöchste Berg der Erde nach dem Mount Everest (8849 Meter).

Damit komplettierten Sherpa und Harila ihre Sammlung der 14 Achttausender in nur drei Monaten und einem Tag. 2019 hatte der Nepalese Nirmal Purja weltweit für Schlagzeilen gesorgt, als er die 14 höchsten Gipfel der Welt in sechs Monaten und sechs Tagen "abgehakt" hatte.

Der Südtiroler Reinhold Messner, der erste Mensch auf allen 14 Achttausendern, hatte dafür knapp 16 Jahre benötigt. Vergleichen lassen sich die Leistungen jedoch nicht. Die Zeiten haben sich geändert. Messner stieg ohne Flaschensauerstoff auf, fast immer im kleinen Team und auf neuen, anspruchsvollen Routen. Mit dem Vormarsch des kommerziellen Bergsteigens an den Achttausendern seit Anfang der 1990er Jahre hielt auch ein neuer Stil Einzug.

Teammitglieder mit Hubschrauber am Berg abgesetzt

Sherpa und Harila perfektionierten ihn, indem sie die Mittel der kommerziellen Expeditionen auf die Spitze trieben. Sie scharten ein Team extrem leistungsfähiger Sherpas um sich, optimierten Zeitmanagement, Material und - nicht zu vergessen - die Infrastruktur am Berg.

Infografik Karte die 14 Achttausender DE

Der Nepalese und die Norwegerin stiegen mit Flaschensauerstoff auf die Achttausender - über die Normalrouten, die auch von den zahlenden Kunden der kommerziellen Veranstalter genutzt werden. Teilweise waren sie in einem siebenköpfigen Team unterwegs. Sie nutzten Hubschrauber nicht nur, um möglichst schnell von Basislager zu Basislager zu gelangen. Bei mindestens zwei ihrer Achttausender-Erfolge – am 8163 Meter hohen Manaslu und an der 8091 Meter hohen Annapurna in Nepal - wurden Mitglieder ihres Teams auch in höhere Lagen des Bergs geflogen, um von dort aus nach oben und unten die Spur in den Schnee zu treten.

"Herunterklettern ist einfacher als hinaufklettern. Gute Technik", kommentierte der nepalesische Bergsteiger Mingma Gyalje Sherpa ironisch diese Technik. "Das ruiniert den historischen Ruf und Ruhm der Sherpas." Da Tenjen Sherpa und Kristin Harila selbst jedoch stets vom Basislager zum Gipfel stiegen und dies auch mit den Daten ihres GPS-Trackers belegten, waren ihre Besteigungen rein formell nicht zu beanstanden. Über den Stil solcher Besteigungen aber wurde und wird in der Bergsport-Szene heftig diskutiert.

"Aberwitzig" - "Zeigt was möglich ist"

"Es hat für mich mit dem Höhenbergsteigen, wie wir es praktiziert haben und es auch von Einzelnen immer noch praktiziert wird, so gar nichts mehr zu tun", kommentierte Gerlinde Kaltenbrunner in der Zeitschrift "Alpin". Die Österreicherin war weltweit die erste Frau, die alle Achttausender ohne Flaschensauerstoff bestieg. "Auch die Herangehensweise zu Expeditionen, das Befassen und Sich-Verbinden mit dem Berg unterscheidet sich. Es ist einfach eine ganz andere Disziplin", so Kaltenbrunner. Sie hatte nicht nur auf eine Atemmaske verzichtet, sondern war auch in kleinen Teams und teilweise auf sehr anspruchsvollen Routen auf die Achttausender gestiegen.

Gerlinde Kaltenbrunner und Ralf Dujmovits im Jahr 2007 am Achttausender Broad Peak
Gerlinde Kaltenbrunner (l.) und Ralf Dujmovits (im Jahr 2007 am Achttausender Broad Peak)Bild: picture-alliance/dpa/Ralf Dujmovits/amical.de

Ralf Dujmovits, der erste und bislang einzige Deutsche auf allen Achttausendern wurde noch deutlicher. Er sprach von einer "umweltverachtenden Speed-Variante", einem "aberwitzigen Auf und Ab" und einer "völlig schwachsinnigen Aneinanderreihung von unsportlichen 'Regeln', die alle mit Bergsteigen nur am Rande zu tun haben".

Andere wie der Österreicher Lukas Furtenbach, Chef des kommerziellen Veranstalters Furtenbach Adventures, verteidigten die Zeitenjagden von Kristin Harila, Tenjen Sherpa und auch deren Vorgänger Nirmal "Nims" Purja. "Sowohl Nims als auch Kristin haben gezeigt, welche Leistungen beim Höhenbergsteigen mit heutigen Mitteln und moderner Expeditionslogistik möglich sind", urteilte Furtenbach. "Ob man das gut oder schlecht findet sei jedem selbst überlassen. Offensichtlich gibt es ausreichend öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung, um solch kostspielige Projekte mit Sponsorengeldern zu finanzieren."

Harila will Mädchen inspirieren

Die Kosten des Projekts summierten sich dem Vernehmen nach auf mehrere hunderttausend Euro. Vor gut zwei Wochen hatte Kristin Harila noch angesichts explodierender Kosten ihre Fans via Instagram um Spenden gebeten.

Bis vor zwei Jahren war die 37-Jährige in der Bergsteigerszene noch ein unbeschriebenes Blatt. Einst hatte Harila zum norwegischen Skilanglauf-Kader gehört, mit überschaubarem Erfolg. 2021 ließ sie erstmals aufhorchen, als sie innerhalb von zwölf Stunden auf den Gipfel des Mount Everest und des benachbarten Achttausenders Lhotse stand - mit Flaschensauerstoff und Sherpa-Unterstützung. 2022 jagte sie erstmals Purjas Zeit – bis sie ihr Projekt nach zwölf Gipfelerfolgen stoppen musste, weil die chinesischen Behörden wegen der Corona-Pandemie die in Tibet gelegenen Achttausender Shishapangma und Cho Oyu für Ausländer gesperrt hielten.

Die norwegische Bergsteigerin Kristin Harila
Kristin Harila hat ihr Ziel erreicht: alle 14 Achttausender in drei MonatenBild: Niranjan Shrestha/AP/picture alliance

Als auch die Berge Tibets in diesem Frühjahr wieder freigegeben wurden, war Harila mit ihrem Team als Erste zur Stelle, um erneut alle 14 Achttausender anzugehen. Zunächst hatte sie angekündigt, diesmal ohne Flaschensauerstoff aufsteigen zu wollen. Diesen Plan gab sie aber bereits Ende April beim ersten Gipfelerfolg an der Shishapangma auf.

Harila betonte wiederholt, dass sie sich in einer Vorbildrolle für Bergsteigerinnen sehe. "Ich hoffe, dass das Projekt Mädchen nach mir inspiriert und es ihnen leichter macht", sagte Harila der Nachrichtenagentur AFP. "Sie sehen, dass wir tatsächlich losziehen und Rekorde brechen können. Und dass wir Sponsoren bekommen und damit Geld verdienen können." Kritiker Dujmovits sieht das anders: "Mit der massiven Unterstützung von Sherpas (alles Männer) und Flaschensauerstoff korrumpiert die sympathische Norwegerin die erhoffte Inspiration für andere."

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter