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Politik

Setzt Russland in der Ukraine Vakuumbomben ein?

Marcus Lütticke
3. März 2022

Die Ukraine wirft Russland vor, bei den Angriffen eine sogenannte Vakuumbombe gezündet zu haben. Was weiß man über den Vorfall und welche Folgen hat der Einsatz solcher Waffen?

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Russische Mehrfachraketenwerfer | TOS-1A Solntsepyok
Der russische Mehrfachraketenwerfer TOS-1A kann thermobarische Raketen verschießenBild: Leonid Faerberg/ZUMAPRESS/picture alliance

Hat die russische Armee im Krieg gegen die Ukraine eine Vakuumbombe eingesetzt? Diesen Vorwurf erhob am vergangenen Montag die ukrainische Botschafterin in den USA. Nach einem Treffen mit amerikanischen Abgeordneten sagte Oksana Markarova: "Sie haben heute eine Vakuumbombe eingesetzt, was nach der Genfer Konvention verboten ist."

Was sind Vakuumbomben?

Vakuumbomben, die auch Aerosolbomben heißen, können eine enorme Hitzewirkung entfalten. Während die meisten herkömmlichen Sprengkörper eine Mischung aus Brennstoff und einem Oxidationsmittel verwenden, um eine Explosion zu verursachen, bestehen Aerosolbomben fast vollständig aus Brennstoff und sind auf Sauerstoff aus der Luft angewiesen, um eine Explosion zu erzeugen. Der Brennstoff wird fein in der Luft verteilt und dann gezündet. Nach der Verpuffung und der Druckwelle tritt eine Vakuumwirkung ein, oder präziser ausgedrückt, eine Phase des Unterdrucks. Die Explosion entzieht der Luft Sauerstoff, weil der Sprengsatz kein eigenes Oxidationsmittel enthält.

Welchen Schaden können Vakuumbomben anrichten?

Vakuumbomben haben eine enorme Zerstörungskraft. Human Rights Watch zitiert aus einem CIA Papier zur verheerenden Wirkung solcher Waffen. "Diejenigen in der Nähe des Zündpunktes werden vernichtet. Befindet man sich weiter weg, werden wahrscheinlich viele innere und damit unsichtbare Verletzungen verursacht, darunter geplatzte Trommelfelle, schwere Gehirnerschütterungen, geplatzte Lungen und andere innere Organe und möglicherweise Blindheit."

Sind solche Waffen aktuell im Kriegsgebiet?

Der US-Fernsehsender CNN berichtet von der Sichtung eines entsprechenden Waffensystems auf russischem Gebiet in der Grenzregion zur Ukraine. CNN-Reporter Frederik Pleitgen teilte auf Twitter ein entsprechendes Video. Dazu schrieb er: "Die russische Armee hat den schweren Flammenwerfer TOS-1, der thermobarische Raketen verschießt, südlich von Belgorod in Bewegung gesetzt." Belgorad ist eine russische Stadt in der Nähe der ukrainischen Grenze. Auch Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München bestätigt gegenüber der DW: "Wir wissen, dass entsprechende Waffensysteme der Russen vor Ort sind."

Wo soll Russland sie in der Ukraine eingesetzt haben?

Eine Vakuumbombe soll in der Stadt Ochtyrka in der Oblast Sumy explodiert sein. Auf Social-Media-Kanälen veröffentlichte Fotos und Videos sollen die Explosion und deren Folgen zeigen. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte, sie habe entsprechende Berichte gesehen, könne aber bisher nicht bestätigen, dass Russland solche Waffen verwendet habe. Internationale Organisationen müssten diese nun auswerten.

Ukraine - Militärstützpunktgebäude, das nach Angaben der ukrainischen Bodentruppen durch einen Luftangriff in der Region Sumy zerstört wurde
Die Aufnahme soll die zerstörte Militärbasis bei Ochtyrka in der Oblast Sumy zeigenBild: Irina Rybakova/REUTERS

Inzwischen hat die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Linda Thomas-Greenfield, der russischen Seite ebenfalls den Einsatz von Vakuumbomben vorgeworfen: "Wir haben Videos gesehen, in denen russische Streitkräfte außergewöhnlich tödliche Waffen in die Ukraine bringen, die auf dem Schlachtfeld nichts zu suchen haben", sagte Thomas-Greenfield bei der Uno-Vollversammlung: "Dazu gehören Streumunition und Vakuumbomben, die nach der Genfer Konvention verboten sind."

Was sagen Experten?

Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München: "Ich halte es anhand der Bilder aus der Ukraine für gut möglich, dass dort Aerosolbomben eingesetzt werden. Allerdings kann man es anhand des Videomaterials auch nicht ganz sicher bestätigen." Ähnlich äußert sich der Militärexperte Gustav Gresse vom European Council on Foreign Relations, der sich für die DW das Bildmaterial angesehen hat: "Keine andere Waffe, abgesehen von Atomwaffen, hätte meiner Ansicht nach diese Stärke." Man könne jedoch nicht ausschließen, dass etwas Explosives getroffen wurde. "Dann wären aber eher eine Reihe von Detonationen zu hören," so Gressel." Laut einem Bericht der FAZ gibt es aber auch in westlichen Geheimdienstkreisen Zweifel, dass es sich um die Explosion einer Vakuumbombe gehandelt habe.

Sollten sich die Berichte über die Vakuumbombe jedoch bestätigen, wäre das ein Kriegsverbrechen und könnte von der Ukraine zur Anklage gebracht werden. "Der Besitz solcher Waffensysteme ist nicht verboten. Der Einsatz in besiedeltem Gebiet ist jedoch ein Kriegsverbrechen, da diese Waffen eine Flächenwirkung entfalten," so Frank Sauer.