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KI kann Herzinfarkte zehn Jahre in der Zukunft vorhersagen

22. November 2023

Revolution in der Herzmedizin: KI kann Herzinfarkte zehn Jahre im Voraus vorhersagen, denn nur Künstliche Intelligenz kann kleinste Verengungen der Herzarterien erkennen, lange bevor der Herzinfarkt droht.

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Rettungssanitäter helfen bei einem Herzinfarkt-Patienten
Auch viele Patienten ohne signifikante Verengungen der Herzkranzgefäße erleiden einen Herzinfarkt oder sterben an Herzversagen.Bild: Benjamin Nolte/picture alliance/dpa

Weltweit sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach wie vor die häufigste Todesursache. Global sterben daran jährlich rund 17,3 Millionen Menschen, bis 2030 könnte diese Zahl Schätzungen zufolge auf bis zu 23,6 Mio. ansteigen.

Zwar steigt die Zahl der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber gleichzeitig konnte bei Herzinfarkten die Mortalität, also die relative Anzahl der Verstorbenen, dank präventiver Maßnahmen und einer verbesserten akutmedizinischen Versorgung deutlich gesenkt werden. Und diese erfreuliche Entwicklung dürfte in Zukunft dank Künstlicher Intelligenz weiter zunehmen.

Denn es ist die große Stärke von KI, potentielle Gefahren rechtzeitig zu erkennen. Aus der Fülle an Untersuchungswerten kann KI bestimmte Muster oder Unregelmäßigkeiten herausfiltern, die selbst das geschulteste Fachpersonal so schnell nicht finden würde.

Herzinfarkte 10 Jahre im Voraus erkennen

Perspektivisch könnte KI-Technologie zum Beispiel das Leben von Tausenden von Patienten mit Brustschmerzen retten, bei denen während einer Computertomographie das Risiko eines Herzinfarkts nicht erkannt wurde. Denn oftmals werden sehr kleine Verengungen bei den Herzkranzgefäßen nicht gesehen. Bei einer Entzündung können sie aufbrechen und die Arterien verstopfen, es kommt zum Herzinfarkt. Bis vor kurzem war es nicht möglich, diese Risikopatienten vorab zu identifizieren.

Das jetzt von Forschenden aus Oxford entwickelte KI-Tool kann auch bei Patienten ohne signifikante Verengung der Herzkranzgefäße solche Auffälligkeiten erkennen und das Risiko vorhersagen, ob ein Patient mit Brustschmerzen in den nächsten zehn Jahren einen Herzinfarkt erleidet. Dies geht aus einer von der British Heart Foundation finanzierten Studie hervor, die auf den Scientific Sessions der American Heart Association in Philadelphia vorgestellt wurde.

Viele Risikopatienten bleiben unentdeckt

Allein im Vereinigten Königreich unterziehen sich jedes Jahr etwa 350.000 Menschen einem Herz-CT. Solch eine Untersuchung gilt als Standardtest, um Verengungen oder Verstopfungen in den Herzkranzgefäßen festzustellen.

Das Team um Professor Charalambos Antoniades vom Radcliffe Department of Medicine der Universität Oxford hatte für die Studie die Daten von über 40.000 Personen analysiert, die sich in acht britischen Krankenhäusern einer solchen routinemäßigen CT-Herz-Untersuchung unterzogen hatten.

Bei etwa drei Viertel der Fälle gab es keine eindeutigen Anzeichen für signifikante Verengungen der Herzkranzgefäße, die Patienten wurden entlassen und nicht weiter behandelt. Die Datenanalyse zeigte allerdings, dass nicht nur Patienten mit signifikanten Verengungen der Herzkranzgefäße besonders gefährdet sind. Die Daten belegen, dass auch doppelt so viele Patienten ohne signifikante Verengungen einen Herzinfarkt erlitten oder an Herzversagen starben.

Wiederbelebung bei Herzstillstand

Sie wurden aber nicht als Risikopatienten erkannt, weil kleinste Hinweise nicht erkannt wurden. Was der Mensch nicht erkennen kann, macht KI sichtbar. Das von den Forschenden aus Oxford entwickelte KI-Tool untersucht die Veränderungen des Fetts um entzündete Arterien herum und errechnet so das tatsächliche Risiko. Denn solche Veränderungen weisen auf ein deutlich erhöhtes Infarktrisiko hin.

Behandlung gezielt anpassen

In einem weltweit erstmaligen Pilotprojekt entwickelte das Medizinerteam für 744 Patienten eine KI-generierte Risikobewertung, auf deren Grundlage die behandelten Ärzte in 45 Prozent der Fälle den Behandlungsplan geändert hatten. Laut Studie habe die Einführung dieser Technologie zu über 20 Prozent weniger Herzinfarkten und zu 8 Prozent weniger Todesfällen und Schlaganfällen bei denjenigen geführt, die den Test hatten durchführen lassen.

"Jedes Jahr sterben zu viele Menschen unnötigerweise an einem Herzinfarkt. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir das Potenzial der künstlichen Intelligenz nutzen, um die Behandlung der Patienten zu steuern", so Studienleiter Charalambos Antoniades. "Hier haben wir gezeigt, dass die Bereitstellung eines genauen Risikobildes für Mediziner den Verlauf der Behandlung verändern und möglicherweise verbessern kann."

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KI spart Zeit und Geld

Das neu entwickelte KI-Tool ist nur ein Beispiel, wie Künstliche Intelligenz dabei helfen kann, dass Behandlungen oftmals viel früher beginnen könnten. Das kann Leben retten, spart viel Zeit und auch viel Geld: Mitte 2023 haben britische Kardiologen zum Beispiel mit einer künstlichen Intelligenz ein "Decision Support System" entwickelt, das die Diagnose eines Herzinfarkts bereits in der Notfallaufnahme beschleunigen könnte.

Das KI-Tool kann viel schneller als bisherige Verfahren den Troponinwert im Blut bestimmen. Das Protein Troponin wird von zerfallenden Herzmuskelzellen freigesetzt und spielt bei der Herzinfarktdiagnostik eine zentrale Rolle. Bislang werden Patienten oftmals ins Krankenhaus gebracht oder müssen dort länger zur Beobachtung bleiben, bis der Troponinwert bestimmt ist, obwohl sie gar keinen Herzinfarkt erlitten haben. KI könnte hier viel Zeit und auch viele unnötige Kosten sparen.

Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen früher erkennen

KI kann nicht nur schneller, sondern teilweise auch zuverlässiger als der Mensch mögliche Risiken erkennen. Ebenfalls Mitte 2023 stellten US-Forschende eine künstliche Intelligenz vor, die nach verdächtigen Mustern in der EKG-Kurve sucht und viel zuverlässiger als selbst erfahrene Kardiologen gefährliche Verschlüsse von Koronararterien erkennen kann.

Wird die Gefahr dank KI früher erkannt, reduzieren sich auch die Risiken. Lange bevor es zu einem gefährlichen Verschluss kommt, können dem Patienten bei einem vergleichsweise ungefährlichen Routine-Eingriff sogenannte Stents implantiert werden. Der Stent ist wie ein kleines Röhrchen aus Metall oder Kunststoff, der mittels Katheter an die Engstelle gebracht wird, dort das Gefäß permanent offen hält und so eine Gefäßverengung verhindert. Die Gefahr eines Herzinfarktes ist abgewendet.

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund