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Großer Unmut über Brief von Berliner Dozenten zu Gaza-Krieg

9. Mai 2024

Etwa 100 Lehrkräfte an Berliner Hochschulen haben sich in einem Brief hinter propalästinensische Demonstranten gestellt. Das löst eine breite Welle der Empörung aus.

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Polizisten räumen das Protestcamp propalästinensischer Demonstranten an der Freien Universität Berlin ab
Polizisten räumen das Protestcamp propalästinensischer Demonstranten an der Freien Universität Berlin abBild: Sebastian Gollnow/picture alliance/dpa

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat sich empört über eine Unterstützer-Erklärung von Berliner Hochschuldozenten für pro-palästinensische Proteste gezeigt. "Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos", sagte Stark-Watzinger der "Bild"-Zeitung. Statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu stellen, würden "Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost". Dass es sich bei den Unterstützern der Proteste um Lehrende handele, sei "eine neue Qualität", betonte die FDP-Politikerin. Gerade sie müssten "auf dem Boden des Grundgesetzes stehen". Aus ihrer Sicht sei es "richtig, wenn Hochschulleitungen bei Antisemitismus und Gewalt schnell handeln und die Polizei einschalten".

Die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger
Die deutsche Bildungsministerin Bettina Stark-WatzingerBild: Britta Pedersen/dpa/picture-alliance

Am Mittwoch hatten Demonstrierende ein Protestcamp auf einem Hof der Freien Universität (FU) errichtet. Die Hochschule schaltete rasch die Polizei ein und ließ das Gelände räumen. Der Lehrbetrieb wurde für den Tag weitgehend eingestellt. Die Polizei bilanzierte am Mittwoch, es seien 79 Personen vorübergehend festgenommen worden, gegen sie gebe es Strafermittlungs- und Ordnungswidrigkeitsverfahren. Eine Gruppe mit dem Namen Student Coalition Berlin forderte die Universitäten in Berlin unter anderem dazu auf, sich für eine Waffenruhe im Gazastreifen einzusetzen und Israel "akademisch und kulturell" zu boykottieren.

Die Gruppe hatte in der vergangenen Woche bereits zu einer Protestaktion an der Humboldt-Universität aufgerufen. Die Protestkundgebung am Freitag hatte einen Polizeieinsatz ausgelöst. Dabei war es laut Polizei auch zu "volksverhetzenden Aufrufen" gekommen.

Recht auf friedlichen Protest?

In einer am Mittwoch online veröffentlichten Erklärung stellten sich rund 100 Dozenten verschiedener Berliner Hochschulen hinter die Proteste. "Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt", hieß es in dem "Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten".

Berliner Polizisten tragen propalästinensische Demonstrierende vom Campus weg
Berliner Polizisten tragen propalästinensische Demonstrierende vom Campus wegBild: Axel Schmidt/Getty Images

Zudem forderten die Lehrkräfte die Universitätsleitungen auf, "von Polizeieinsätzen gegen die eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen". In der Erklärung wird die "Dringlichkeit des Anliegens der Protestierenden" mit dem israelischen Vorgehen im Gazastreifen und der humanitäre Lage in dem Palästinensergebiet als "nachvollziehbar" begründet. Der Angriff der militant-islamistischen Palästinenserorganisation Hamas, der den Krieg im Gazastreifen auslöste, sowie die verschleppten israelischen Geiseln werden darin hingegen nicht erwähnt. Die EU, die US, Deutschland und andere Länder stufen die Hamas als Terrororganisation ein.

Heftige Kritik aus der Union

Scharfe Kritik an dem Brief kam auch von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner. "Für die Verfasser dieses Pamphlets habe ich überhaupt kein Verständnis", sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung. Die Berliner Universitäten seien und blieben "Orte des Wissens, des kritischen Diskurses und des offenen Austauschs". "Antisemitismus und Israelhass sind aber keine Meinungsäußerungen, sondern Straftaten", betonte Wegner. Er habe "volles Vertrauen", dass die Berliner Polizei "gegen solche Straftaten auch weiterhin konsequent rechtsstaatlich" vorgehe.

Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin
Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von BerlinBild: Hannes P Albert/dpa/picture alliance

Auch die stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, Karin Prien, zeigte sich empört. Sie sei "fassungslos, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf das humanitäre Leid in Gaza verweisen, ohne die Geiseln der Hamas mit nur einer Silbe zu erwähnen", erklärte sie.

Unionfraktionsvize Andrea Lindholz bezeichnete den Brief als einen "Tiefpunkt für die deutsche Wissenschaft". Sie habe "null Verständnis dafür, wenn Professoren und Dozenten einen Mob von Antisemiten und Israelhassern verteidigen". Wissenschaft und Lehre mit Aktivismus zu verknüpfen, sei "brandgefährlich für die Hochschulen als Institutionen", kritisierte die CSU-Innenpolitikerin.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich enttäuscht von den Unterzeichnern des Schreibens. Den Aktivisten gehe es "weniger um das Leid der Menschen in Gaza, sondern sie werden von ihrem Hass auf Israel und Juden angetrieben", sagte er der "Bild"-Zeitung. "Gerade von Hochschuldozenten hätte ich erwartet, dass dies zumindest klar benannt wird, wenn sich schon für diese Form des Protestes eingesetzt wird."

Ruf nach freier Meinungsäußerung

Der Botschafter der Palästinensischen Autonomiebehörde in Deutschland, Laith Arafeh, wies hingegen Kritik an den propalästinensischen Protesten zurück. Der Spielraum für freie Meinungsäußerung und die akademische Freiheit mit Blick auf Israel und den Gaza-Krieg gehe immer weiter zurück, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Wir verurteilen alle Formen von Fanatismus einschließlich Antisemitismus", so der Botschafter. "Genauso verurteilen wir den systematischen Einsatz falscher Antisemitismus-Vorwürfe gegen alle Stimmen, die ein Ende des Krieges fordern." Er beziehe keine Position zu den Studentenprotesten, weil das eine Einmischung in innere Angelegenheiten wäre, sagte der Diplomat. "Aber ich unterstütze jedermanns Recht auf freie Äußerung, jedermanns Meinungsfreiheit, überall, jederzeit."

kle/sti (afp, dpa)